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Paketda-Weihnachtsgeschichte: Der Beschwerdeprozess

Vor mehr als 100 Jahren schrieb Franz Kafka den Roman Der Prozess. Etwas abgewandelt ist die Geschichte noch immer aktuell, weil sie den zermürbenden Kundenservice mancher Paketdienste treffend beschreibt.

Deshalb ist Der Beschwerdeprozess die Paketda-Weihnachtsgeschichte 2021. Leider ohne Happy End. Anleihen ans Original sind mit * verlinkt.

K. nahm in meinem Büro Platz. Er erhoffte sich einen Rat hinsichtlich einer Auseinandersetzung mit einem Paketdienst. K. verlangte Schadenersatz aufgrund eines verlorenen Pakets. Die Angelegenheit zog sich schon über fünf Monate hin.

Leider, und darauf muss ich meine Kunden zuallererst aufmerksam machen, werden telefonische Beschwerden bei Paketdiensten gar nicht bearbeitet. Man legt sie zu den Akten und bittet den Anrufer, einstweilen von Rückfragen abzusehen, weil man sich zu gegebenem Anlass eigenständig melden werde. *

Wird der Petent nach einigen Wochen des Zuwartens dringlich, lässt ihn der Paketdienst wissen, dass man die Entscheidung über Schadenersatz, bis alle Informationen aus den regionalen Niederlassungen über den Verbleib der Sendung gesammelt sind, in diesem Zusammenhang natürlich auch Einlieferungsbeleg und Wertnachweise, überprüfen wird. *

Leider ist auch das meistens nicht richtig. Die Beschwerde wird gewöhnlich verlegt oder geht gänzlich verloren und, selbst wenn sie erhalten bleibt, wird auf sie, wie ich allerdings nur gerüchteweise erfahren habe, bloß mit Textbausteinen geantwortet. *

In den Büros der Paketdienste sollen umfangreiche Werke mit vorgefertigten Textpassagen in reger Nutzung sein. Angestellte verfassen damit gelehrte, aber eigentlich inhaltlose Briefe. Diese Briefe sind allerdings, soweit ich ihnen folgen konnte, sehr sorgfältig gemacht. Vor allem sehr viel Latein, das ich nicht verstehe, dann seitenlange allgemeine Ausführungen und am Ende höfliche Worte des Bedauerns. * Derlei Schreiben entfalten bei unbeflissenen Kunden sofort die beabsichtigte Wirkung und entmutigen sie auf geradezu hündische Weise.

Deshalb rate ich grundsätzlich von telefonischen Reklamationen ab. Stattdessen bedarf es einer schriftlich formulierten Eingabe beim Paketdienst mit wohl benannter Schadenshöhe sowie Ursache und Fälligkeit der erhobenen Forderung. Der erste Eindruck, den ein Kunde macht, bestimmt oft die ganze Richtung des Verfahrens. *

Doch - ich muss es einräumen - scheuen etliche Menschen die gerichtliche Auseinandersetzung. Sie wägen die ungewisse Hoffnung auf Schadenersatz gegen den gewissen Einsatz von Gebühren, Zeit und Nerven ab. Allzu oft verhindert gar bloße Bequemlichkeit, einen Prozess in Gang zu setzen.

»Keine Aussicht auf Schadenersatz also?«, fragte mich der Kunde, als rede er zu sich selbst und zu seinen Hoffnungen. »Das bestätigt die Meinung, die ich von Paketdiensten schon habe. Es ist also auch von dieser Seite zwecklos.« *

»Sie dürfen nicht verallgemeinern«, sagte ich unzufrieden, »ich habe ja nur von meinen Erfahrungen gesprochen.«

»Das genügt doch«, sagte der K., »oder haben Sie von Schadenersatz aus früherer Zeit gehört?«

»Solche Zahlungen«, antwortete ich, »soll es allerdings gegeben haben. Nur ist es sehr schwer, sie festzustellen. * Die abschließenden Entscheidungen werden von Paketdiensten nicht veröffentlicht, infolgedessen haben sich über alte Fälle nur Zeitungsberichte erhalten. Diese enthalten sogar in der Mehrzahl wirkliche Versprechen über Geldzahlungen an geschädigte Kunden, man kann sie glauben, überprüfbar sind sie aber nicht. Trotzdem muss man sie nicht ganz vernachlässigen, eine gewisse Wahrheit enthalten sie wohl gewiß, auch sind sie sehr schön zu lesen, ich selbst habe einige Zeitungsberichte ausgeschnitten, die solche Geldversprechen zum Inhalt haben.«

»Bloße Legenden ändern meine Meinung nicht«, sagte der K., »man kann sich wohl auch vor Gericht auf diese Berichte nicht berufen?« *

Ich lachte. »Nein, das kann man nicht.«

»Dann ist es nutzlos, darüber zu reden.«, sagte der K.

Ich wendete ein, K. möge doch berücksichtigen, dass das Verfahren nicht öffentlich sei. Es kann, wenn das Gericht es für nötig hält, öffentlich werden, das Gesetz aber schreibt Öffentlichkeit nicht vor. * Nichtsdestotrotz könne sich K. selbst darum bemühen, Öffentlichkeit herzustellen.

»Sie müssen die Öffentlichkeit für Ihr Verfahren nutzen. Vielleicht - so dachte ich jetzt - kann Ihnen ein Journalist bei einer Zeitung behilflich sein. Er kennt viele Pressesprecher bei großen Unternehmen. Und wenn er selbst auch keinen großen Einfluß haben sollte, so vermag er doch einen scharfen Artikel darüber zu schreiben, wie leichtfertig Ihre Forderung bislang abgetan wurde. *

Die Berichterstattung kann in Ihrer Angelegenheit von großer Bedeutung sein. Die öffentliche Meinung wendet sich zu Ihren Gunsten, und dann habe ich keine Sorgen wegen Ihres Prozesses. Der Paketdienst wird ihn mit einer außergerichtlichen Zahlung abwenden wollen, noch bevor er begonnen hat. Wollen Sie nun aber zu einem Journalisten gehen? Auf meine Empfehlung hin wird er gewiss alles tun, was ihm möglich ist. Ich denke wirklich, Sie sollten hingehen. Es muss natürlich nicht heute sein, einmal, gelegentlich. Allerdings sind Sie - das will ich noch sagen - dadurch, dass ich Ihnen diesen Rat gebe, nicht im Geringsten verpflichtet, auch wirklich hinzugehen. Nein, wenn Sie die Zeitungsleute entbehren zu können glauben, ist es gewiss besser, sie ganz beiseite zu lassen. Es kostet gewiss auch Überwindung, sich in der Zeitung abbilden zu lassen. Nun, wie Sie wollen. Hier ist das Empfehlungsschreiben und hier die Adresse.« *

»Aber ich trage an dem verlorenen Paket überhaupt keine Schuld.«, entgegnete der Kunde. »Warum sollte ich genötigt sein, derart öffentlich um Hilfe zu suchen?«

»Es ist hier von zwei verschiedenen Dingen die Rede, von dem, was im Gesetz steht, und von dem, was ich persönlich erfahren habe, das dürfen Sie nicht verwechseln. Im Gesetz, ich habe es allerdings nicht gelesen, steht natürlich einerseits, dass der Paketdienst verlorene Pakete zu ersetzen hat, andererseits besteht die Möglichkeit, sich außergerichtlich zu einigen. Zum Beispiel durch ein Schlichtungsverfahren bei der Bundesnetzagentur.« *

»Die Bundesnetzagentur?« fragte K. »Wer sind denn die? Wie kommt man zu ihnen?«

»Sie haben also noch nie von ihnen gehört«, sagte ich. »Es gibt kaum einen Geschädigten, der nicht, nachdem er von ihr erfahren hat, eine Zeitlang von ihr träumen würde. Lassen Sie sich lieber nicht dazu verführen. * Was die Bundesnetzagentur wirklich zu tun vermag, weiß ich nicht, und zu ihr kommen kann man wohl gar nicht. Ich kenne keinen Fall, von dem sich mit Bestimmtheit sagen ließe, dass Beamte eingegriffen hätten. Im Übrigen ist es besser, nicht an sie zu denken. Ich habe es selbst erfahren, dass man am liebsten alles wegwerfen, sich zu Hause ins Bett legen und von nichts mehr hören wollte. Das wäre aber natürlich wieder das Dümmste, auch hätte man im Bett nicht lange Ruhe.« *

Betrübt und nicht schlauer als zuvor verließ der Kunde mein Büro. Als er vor die Haustür trat, fielen seine Blicke auf das vorletzte Stockwerk meines Hauses. Ich sah ihn zweifelnd auf der Straße warten, schlug die Flügel meines Fensters auseinander und winkte nach unten. Der Kunde hatte sich bei der Erzählung seines Falls so sehr erschöpft, dass es ihm vorkommen musste, als legten sich die Hände des Paketdienstes um seine Gurgel.

War noch Hilfe? Gab es Einwände, die man vergessen hatte? Gewiß gab es solche. Die Logik ist zwar unerschütterlich, aber einem Kunden, der Schadenersatz will, widersteht sie nicht. Wo war der Richter, den er nie gesehen hatte? Wo war das Schlichtungsverfahren, zu dem er nie gekommen war?

Er hob die Hände und spreizte alle Finger. »Ich gebe auf! Wie ein Hund!« sagte er, es war, als sollte die Hoffnung ihn überleben. *

Ende


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